Ende Juni luden das Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung IVV und die Industrievereinigung für Lebensmitteltechnologie und Verpackung e. V. nach Freising zu den Zukunftstagen Schokoladentechnologie. Rund 90 Teilnehmende waren dann vor Ort, um sich auf der Tagung, die stark unter den Aspekten Künstliche Intelligenz und Digitalisierung stand, weiterzubilden und den Austausch zu suchen.
Von Dr. Jörg Häseler
Die Begrüßung und Einführung der Tagung vom 25. bis 26. Juni 2024, die sich intensiv den Themen Digitalisierung, Compliance und Gesetzgebung sowie Rohstoffe widmete, übernahmen Oliver Stricker, August Storck KG, Obmann der IVLV Arbeitsgruppe Schokoladentechnologie, und Dr. Marc Lutz, Migros Industrie AG, stellvertretender Obmann der Arbeitsgruppe. Besonderes Augenmerk wurde am zweiten Tag auf die Thematik Bisphenol A, seine Anwendung und die rechtlichen Konsequenzen gelegt.
Dr. Lukas Oehm, Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung IVV Dresden, gab „unsere Antwort auf den Fachkräftemangel in der Süßwarenindustrie: Digitale Bedienerassistenzsysteme zur Qualitätsüberwachung und Effizienzsteigerung“. In seinem Vortrag präsentierte er Zahlen, nach denen Mitarbeiter teilweise bereits nach einem Jahr das Unternehmen wieder verlassen. Hinzu kommt die mangelnde Qualifikation und fehlende Erfahrung, die zu geringer Prozesseffizienz führen. Er stellte zudem ein System vor, das auf der Bilddatenauswertung mittels Deep Learning basiert. „imageSAM“ ist ein Assistenzsystem für die Qualitätsüberwachung und erlaubt mittels Einsatz verschiedener Kamerasysteme die Erkennung verschiedener Fehlerklassen. Hierbei können abhängig vom Anwendungsgebiet einfache Industriekameras bis hin zu Spezialkameras wie LumiHD zum Einsatz kommen. Der Vorteil besteht u. a. darin, dass es Handlungsanweisungen für das Bedienpersonal gibt, z. B. zur Fehlerbehebung der erkannten Abweichung. Diese wären dann über Tablet, Smartphone oder PC in der Leitwarte abrufbar.
Die Produktendkontrolle war auch Ronald Krzywinski, Bi-Ber GmbH & Co. Engineering KG, ein Anliegen. Mittels EdgeLearning-Tools bestehen Möglichkeiten, den Kundennutzen in den Vordergrund zu stellen. Die Entwicklung der Technik nähert sich dem gewünschten Ziel auch für den hohen Durchsatz bei der Prüfung der Vorderseite an. Doch manches Mal müssten Kompromisse gemacht werden: Produktionslinien sollten verlängert werden, sodass das Ausschleusen von fehlerhaften Produkten sichergestellt werden kann, denn die Ermittlung von Fehlern ist zeitlich begrenzt.
Dem „Process Improvement with Causal AI“ widmete sich Dr. Julian Senoner, EthonAI AG. Seinen Aussagen nach wird die kausale KI zum Standard in der datengesteuerten Ursachenanalyse werden.
Er ergänzte, dass Algorithmen des maschinellen Lernens, z. B. Random Forests, irreführende Schlussfolgerungen liefern können, da sie die Linienstruktur nicht berücksichtigen. Die virtuelle Versuchsplanung kann dabei helfen, Was-wäre-wenn-Szenarien zu bewerten, bevor Änderungen in der Produktion vorgenommen werden.
Dass es nicht nur mit der klassischen Analytik mittels Gaschromatografie und Massenspektroskopie gelingt, Aromakomponenten in Schokolade zu detektieren, veranschaulichte PD Dr. Tilman Sauerwald, Fraunhofer IVV. Er nutzt Multisensorsysteme mit digitaler Auswertung für die Messung von Geruchsstoffen, denn Riechen und Schmecken spielen eine zentrale Rolle, besonders für emotionale Entscheidungen. Besonders herausfordernd ist der Umstand, dass die Geruchsstoffe in einer extremen Konzentrationsbreite im Produkt vorliegen, sodass Sensoren über mehrere Zehnerpotenzen messen müssen.
In seinen Erläuterungen führte er aus: „Die Systemkosten für Multigasmesssysteme mit KI-Auswertung mittels Fingerprinting haben sich deutlich verringert. Die Systeme sind in der Regel mit Möglichkeiten zum temperaturzyklischen Betrieb ausgestattet, sogenannten virtuellen Sensorarrays.“
Dr. Sebastian Reimann, Delica AG, und Marc Zollinger, SQTS Swiss Quality Testing, berichteten von einem analytischen Problem beim Nachweis von pflanzlichem Fremdfett in dunkler Schokolade, das ihnen von einem Handelslabor vorgelegt wurde. Nach einer ISO-Methode wird auf ein Referenzmaterial zurückgegriffen, das heute zum einen nicht mehr verfügbar ist und zum anderen nicht Veränderungen berücksichtigt, die sich aber hierin niederschlagen sollten. Dieser analytische Nachweis sollte auf eine besser belastbare Basis gestellt werden, denn es drohen weitere Nachweise eines Zusatzses. Es sollten etliche Fragen geklärt werden, z. B.: Sollten die ISO-Methoden mit der Auswertung der Fettsäureverteilung (Fingerprints) ergänzt werden und diese in die Beurteilung der Probe einfließen? Müsste für jedes Herkunftsland eine eigene, aktuelle Kakaobutterlinie erstellt werden?
Kurzfristig ins Programm genommen wurde das Thema Verbot von Bisphenol A, das von Dr. Frank Heckel, LCI, dargestellt wurde. Die EU hat einen Entwurf für einen delegierten Rechtsakt vorgestellt, nach dem es zu einem Verbot dieses Monomers in Lebensmittelkontaktmaterialien aus Kunststoff kommen könnte. Dies hätte dramatische Auswirkungen, da diese Substanz zur Herstellung von Polycarbonat-(PC)Gießformen genutzt wird. Besonders unverständlich für ihn ist die Tatsache, dass die EFSA und das BfR zu Bewertungen kommen, bei denen der Wert für die tolerierbare tägliche Aufnahmemenge um den Faktor 1000 voneinander abweicht. Außerdem wurden zwei Ausnahmen im Entwurf vorgesehen, deren Begründung auch für Gießformen herangezogen werden könnte. Es ist also dringend Handlungsbedarf gefordert. Ein Ziel wäre es, im Rahmen der aktuellen Bemühungen u. a. alle Stakeholder (PC-Produzenten, Hersteller von PC-Gießformen und deren Nutzer) an einen Tisch zu laden, um mögliche nächste Schritte gemeinsam auszuloten.