Am Anfang war es nur eine Idee. Das daraus resultierende neue Produkt konnte äußerst erfolgreich am Markt platziert werden. Viele Handelsketten listeten es. Aus dem einen Produkt entwickelte sich schnell eine Serie, die in andere europäische Länder exportiert wurde. Ein neu eingeführtes Allergen erzwang dann aber große Betriebsänderungen. Der erfahrene Experte Jürgen Schlösser erläutert die damit verbundene Problematik.
Von Jürgen Schlösser
Zuvor explodierte die Nachfrage an dieser Produktserie. Die Diskussion mit der Produktion um mehr Produktionszeit für diese Serie wurden immer schwieriger, aber die erfindungsreichen Kollegen im Betrieb schafften es einigermaßen, der gestiegenen Nachfrage nachzukommen.
Ein neuer Superstar war geboren: Vielen Verbrauchern schmeckte das neue Lebensmittel ausgezeichnet und jeder noch so kleine Supermarkt wünschte sich eine kleine Auswahl davon im Regal zu haben. Die Produktion versuchte möglichst schnell Prozesse und Anlagentechnik so zu ändern, dass eine weitere Steigerung dieser Serie innerhalb der Gesamtproduktion möglich war. Schon nach einem Jahr nahm diese Lebensmittelserie einen Anteil von 10 % der gesamten Produktionsmenge ein.
Diese wahre Geschichte ist nicht alt, sondern ist tatsächlich in jüngster Zeit passiert. Es gibt immer noch diese Shootingstars, auf die viele hoffen, aber nicht wirklich damit gerechnet haben.
Der Erfolg war gewaltig. Nun konnten sich alle gegenseitig zum Erfolg auf die Schulter klopfen, wenn nicht dummerweise in diesem Produkt viel Erdnuss enthalten ist. Bisher wurden Erdnussprodukte bewusst nicht in diesem Betrieb verarbeitet. Durch diese neue Produktserie wurde nun ein neues Allergen in dieses Werk eingeführt, welches zu großen Problemen führte. Spät erkannte die Qualitätssicherung, dass durch die zu schnell geänderten Prozesse Kreuzkontaminationen entstanden und nun in sehr vielen anderen Produkten Erdnussspuren nachweisbar waren. Im ersten Jahr stieg der Gehalt an Erdnussspuren immer weiter. Besonders durch das internationale Geschäft ergaben sich Fragen: Wie hoch darf Gehalt an Erdnuss sein, auch wenn sie auf der Verpackung als Spur deklariert wird? Wo kommen die Erdnussspuren her?
Eine durchgeführte Stufenkontrolle (Abb.) bei der Herstellung einer Schokoladencreme zeigte deutlich die Schwachstellen. Bereits das eingesetzte Rework enthielt Erdnussspuren zwischen 100 und 1000 mg/kg. Der auf der Produktionslinie zuerst eingesetzte Mischer, in dem Pulver und das Rework gemischt werden, zeigte bereits eine deutliche Erhöhung der Belastung, da der Mischer nur ausgefegt und nicht nass gereinigt werden konnte.
Das gleiche Reinigungsproblem ergab sich bei den anschließenden Aggregaten. Da hier bei vielen Cremes mit Schokolade gearbeitet wird, musste auf eine Nassreinigung verzichtet werden. Die einzig mögliche Reinigung besteht aus dem Abkratzen der letzten Produktionscharge. Die Folge davon ist eine Verdopplung der Erdnusskontamination in den gemischten Zutaten.
Zum Schluss wurden alle vorbereiteten Zutaten in einem großen Mischer mit flüssigen Fetten und Ölen gemischt. Nach dem Abpumpen der so entstandenen Schokoladencreme verblieb eine sehr dicke Schicht an Innenwand und Mischwerkzeugen, die nur schwer abgekratzt werden konnte, weil selbstverständlich auch hier nicht nass gereinigt werden darf. Dadurch stieg die Konzentration in der fertig hergestellten Creme auf das Vierfache. Die Creme wird durch eine Ringleitung gepumpt, in der noch Reste der Creme vorhanden sind, die vorher durch diese Leitung in den Puffertank gepumpt wurde. So ist zu erklären, dass die Erdnussbelastung in der Schokoladencreme etwas geringer ausfällt als in dem großen Mischer. Wäre jedoch vorher eine Erdnussquelle durch diese Ringleitung geflossen, hätten wir jetzt noch mal eine sehr deutliche Erhöhung der Erdnusskonzentration in der Schokoladencreme.Die Creme ist glücklicherweise nur ein geringer Bestandteil des verzehrfertigen Endproduktes. Dadurch sinkt die hohe Konzentration der Erdnussspuren von über 4000 mg/kg sehr deutlich auf einen Wert von ca. 100 mg/kg. Da Erdnuss als Spur auf der Verpackung des Schokoladenproduktes deklariert wird, ist eine Konzentration von ca. 100 mg/kg akzeptabel.
In dieser Versuchsserie war die Konzentration der Erdnussbelastung im Rework mit 100 mg/kg relativ klein. Außerdem wurden vor dem Versuch Maschinen, Aggregate und Rohrleitungen gründlich gereinigt. Wie aber beschrieben, wurde eine Erdnussbelastung im Rework von über 1000 mg/kg nachgewiesen. Sollte dann auch noch die Reinigung (das Abkratzen) nicht so gründlich geschehen sein, könnte die Erdnussbelastung im verzehrfertigen Endprodukt auch 1000 mg/kg überschreiten.
Aus meiner Sicht sollte hier eine Grenze der maximalen Spuren von Allergen im Endprodukt sein. Auf Spuren, die deutlich über 1000 mg/kg liegen, reagieren sensible Allergiker sehr heftig.
Dieser Versuch hat gezeigt, dass auf dieser Produktionslinie Produkte gefertigt werden, bei denen nicht sicher gewährleistet werden kann, dass Allergenspuren auf jeden Fall unter 1000 mg/kg liegen. Die Stellen, an denen durch Kreuzkontamination Allergene ins Nachfolgeprodukt verschleppt werden, konnten eindeutig identifiziert werden. Nun müssen die Prozesse oder Produktionsanlagen so geändert werden, dass eine Kontamination nicht mehr möglich ist bzw. deutlich verringert werden kann. Das gilt besonders für die Reinigungs-Maßnahmen. Eine deutliche bessere Reinigung der relevanten Maschinen senkt sehr deutlich die Allergenverschleppungen.
Sollte eine Änderung der Prozesse und/oder Anlagentechnik nicht möglich sein, muss in die Produktionsplanung eingegriffen werden. Diese ist dann so zu gestalten, dass Erdnussprodukte immer am Ende der Woche produziert werden. Übers Wochenende können dann alle Teile der Produktionslinie sehr gründlich gereinigt werden. Am Montagmorgen steht wieder eine Linie zu Verfügung, die keine Allergenverschleppung im Produkt erzeugen wird.
Nach dem Erfolg der Erdnussprodukte denkt das Marketing über den nächsten Versuch nach. Auf der Ideenliste stehen wiederum Produkte, die für dieses Werk erneut ein neues Allergen einführen würden. Diesmal wird sich allerdings ein Team aus Produktion und Qualitätssicherung vorher Gedanken darüber machen, wie der nächste Shootingstar zu handeln ist.
http://www.schloesser-consult.de